Ulrich Plenzdorf - Die neuen Leiden chapter 4 lyrics

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Ulrich Plenzdorf - Die neuen Leiden chapter 4 lyrics

Es war erstaunlich, im Ernst. Und wenn meine Ka**etten nicht gereicht hätten, wären wir in den »Eisenbahner« gegangen oder noch besser in die »Große Melodie«, wo die M.S.-Jungs spielten oder SOK oder Petrowski, Old Lenz, je nachdem, wer gerade dran war. Montag war immer fester Tag. Oder denkt vielleicht einer, ich wußte nicht, wo man in Berlin hingehen mußte wegen echter Musik? Nach einer Woche wußte ich das. Ich glaube nicht, daß es viele Sachen in Berlin gegeben hat, die ich versäumt habe. Ich war wie in einem Strom von Musik. Vielleicht versteht mich einer. Ich war doch wie ausgehungert, Leute! Schätzungsweise zweihundert Kilometer um Mittenberg rum gab es doch keine anständige Truppe, die Ahnung hatte von Musik. Old Lenz und Uschi Bruning! Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt. Ich glaube, sie ist nicht schlechter als Ella Fitzgerald oder eine. Sie hätte alles von mir haben können, wenn sie da vorn stand mit ihrer großen Brille und sich langsam in die Truppe einsang. Wie sie sich mit dem Chef verständigte ohne einen Blick, das konnte nur Seelenwanderung sein. Und wie sie sich mit einem Blick bedankte, wenn er sie einsteigen ließ! Ich hätte jedesmal heulen können. Er hielt sie so lange zurück, bis sie es fast nicht mehr aushaken konnte, und dann ließ er sie einsteigen, und sie bedankte sich durch ein Lächeln, und ich wurde fast nicht wieder. Kann auch sein, es war alles ganz anders mit Lenz. Trotzdem, die »Große Melodie«, das war eine Art Paradies für mich, ein Himmel. Ich glaube nicht, daß ich in der Zeit von viel was anderem gelebt habe als von Musik und Milch. Anfangs war mein Problem in der »Großen Melodie« bloß, daß ich keine langen Haare hatte. Ich fiel ungeheuer aus dem Rahmen. Als echter Vorbildknabe durfte ich in Mittenberg natürlich keinen Kanten haben und eine Innenrolle schon gar nicht. Ich weiß nicht, ob sich einer vorstellen kann, was das für ein Leiden war. Ich krümmte mich, wenn ich die anderen mit ihren Loden sah, natürlich nur innerlich. Ansonsten behauptete ich, daß mir lange Haare nichts sein konnten, wenn alle welche hatten, weil da kein Mut zu gehörte. Dabei gab es in einer Tour Heckmeck wegen der Haare. Schon bei der Einstellung. Ich weiß nicht, wer das kennt, Leute. Dieses Gesicht, wenn sie einem erklären, daß in der Werkstatt oder wo keine langen Haare getragen werden dürfen, wegen der Sicherheit. Oder eben Kopfschutz, Haarnetz, wie die Frauen, womit einer dann aussieht wie markiert, wie bestraft. Ich glaube, keiner kann sich vorstellen, was das für eine Genugtuung für einen wie Flemming war. Die meisten nahmen natürlich den Kopfschutz, und wenn es ging, nahmen sie ihn ab. Mit dem Erfolg, daß Flemming sofort angetobt kam. Er hätte nichts gegen lange Haare, aber in der Werkstatt...., leider... und so weiter. Wenn ich sein Grinsen sah dabei, wurde mir immer rot vor Augen. Ich weiß nicht, wie man so was nennen muß, wenn Leute wegen langer Haare ewig angestänkert werden. Ich möchte wissen, wem man damit irgendwas zuleide tut? Ich fand Flemming dann immer ungeheuer fies. Vor allem, wenn er dann noch sagte: Seht euch den Edgar an. Der sieht immer proper aus. Proper! Irgendwer hat mir mal die Geschichte von einem erzählt, auch so einem Musterknaben, Durchschnitt eins und besser, Sohn prachtvoller Eltern, bloß, er fand keine Kumpels. Und in seiner Gegend gab's da so eine Horde, die kippte Parkbänke um, schmiß Scheiben ein und dergleichen Zeugs. Kein Aas konnte sie erwischen. Der Anführer war ein absolut ausgeschlafener Junge. Aber eines mehr oder weniger schönen Tages klappte es doch. Sie griffen ihn. Der Kerl hatte Haare bis auf die Schultern - typisch! Bloß, es war eine Perücke, und in Wahrheit war er eben jener prachtvolle Musterknabe. An einem Tag hatte es ihm gereicht, und er hatte sich eine Perücke angeschafft. Anfangs in Berlin dachte ich oft daran, ebenfalls irgendwo eine Perücke aufzureißen, für die »Große Melodie«. Aber erstens liegen Perücken nicht einfach so auf der Straße rum, und zweitens hatte ich einen geradezu teuflischen Haarwuchs. Ob das einer glaubt oder nicht - meine Haare wurden am Tag schätzungsweise zwei Zentimeter länger. Das war lange Zeit ein echtes Leiden von mir. Ich kam gar nicht wieder weg vom Friseur. Aber auf die Art hatte ich nach zwei Wochen schon einen annehmbaren Pilz. »Sie haben ihn demnach noch öfter gesehen?« »Das ließ sich nicht vermeiden. Wir waren ja praktisch Nachbarn. Und seit der Sache mit dem Wandbild gingen ihm die Kinder nicht mehr von der Pelle! Was sollte ich dagegen machen? Er konnte mit Kindern umgehen, wie man das bei Männern ganz selten hat, ich meine, bei Jungs. Außerdem glaube ich, daß Kinder genau wissen, wer was für sie übrig hat oder nicht.« Das stimmt. Charlies Gören war nicht mehr zu helfen. So sind sie. Man darf ihnen nicht den kleinen Finger geben. Ich wußte das. Sie denken wahrscheinlich, das macht einem Spaß. Trotzdem machte ich mit, geduldig wie ein Vieh. Erstens war Charlie der Meinung, ich könnte hervorragend mit Kindern auskommen, eine Art Kindernarr. Die Meinung wollte ich ihr nicht nehmen. Ich und ein Kindernarr! Zweitens waren die Gören meine einzige Chance, an Charlie dranzubleiben. Ich konnte machen, was ich wollte, ich kriegte Charlie nicht wieder auf meine Kolchose und in meine Laube schon gar nicht. Sie wußte, warum, und ich auch. Auf die Art hing ich also Tag für Tag in diesem Auslauf. Ich drehte das Karussell oder was dieses Ding mit den vier Auslegern sein sollte, oder ich mimte den Indianer. Dabei kriegte ich langsam mit, wie man sie sich abwimmeln kann, wenn man will. Wenigstens für zehn Minuten. Ich teilte sie in zwei Parteien und ließ sie sich befehden. Um die Zeit kam auch die erste Antwort von Willi. Der gute Willi. Das war zuviel für ihn. Das hatte er nicht überstanden. Auf dem Band war folgender Text: Salute, Eddie! So geht es nicht. Gib mir den neuen Code. Welches Buch, welche Seite, welche Zeile. Ende. Was macht Variante drei? Gib mir den neuen Code! Ich wurde nicht wieder. Das war zuviel für ihn. Es war auch nicht ganz fair von mir, das gebe ich zu. Ansonsten verstanden wir uns aufs Stichwort. Aber das war zuviel. Ein neuer Code. Ich hätte mir in den Hintern beißen können. Wenn wir in Stimmung waren, konnten wir uns zum Beispiel ma**enweise blöde Sprichwörter an den Kopf werfen: Ja, ja, das Brot hat immer zwei Kanten. - Schon recht. Aber wenn man das Geschirr morgens nicht abtrocknet, ist es noch naß. - Wer dumm ist, braucht noch lange nicht blöd zu sein. - Arbeit macht die Füße trocken. In dem Stil. Aber das war zuviel für Old Willi. Leute, seine Stimme hättet ihr hören sollen. Er verstand die Welt nicht mehr. Mit Variante drei meinte er, ob ich arbeite oder so. Er dachte wohl, ich verhungere. Genauso Charlie. Sie fing immer wieder davon an. Ich hatte nichts gegen Arbeit. Meine Meinungdazu war: Wenn ich arbeite, dann arbeite ich, und wenn ich gammle, dann gammle ich. Oder stand mir etwa kein Urlaub zu? Aber es soll keiner denken, ich hatte vor, ewig auf meiner Kolchose zu hocken und das. Man denkt vielleicht erst, das geht. Aber jeder einigermaßen intelligente Mensch weiß, wie lange. Bis man blöd wird, Leute. Immer nur die eigene Visage sehen, das macht garantiert blöd auf die Dauer. Das popt dann einfach nicht mehr. Der Jux fehlt und das. Dazu braucht man Kumpels, und dazu braucht man Arbeit. Jedenfalls ich. Bloß so weit war ich noch nicht. Vorläufig popte es noch. Außerdem hatte ich keine Zeit für Arbeit. Ich mußte an Charlie dranbleiben. An Charlie lag mir was, aber das sagte ich wohl schon. In so einem Fall muß man dranbleiben. Ich seh mich noch neben ihr hocken in diesem Auslauf, und die Gören spielten um uns rum. Charlie häkelte. Ein Idyll, Leute. Fehlte bloß noch, daß ich meinen Kopf in ihrem Schoß hatte. Ich hatte da keine Hemmungen, und ich hatte es auch schon einmal geschafft. Das Gefühl am Hinterkopf war nicht schlecht. Im Ernst. Aber seit dem Tag brachte sie Häkelzeug mit und fummelte damit ständig in ihrem Schoß rum. Sie kam nachmittags mit den Gören, setzte sich hin und nahm das Häkelzeug vor. Ich war dann immer schon da. Charlie hatte eine Art, sich hinzusetzen, die einen halb krank machen konnte. Sie hatte wohl nur weite Röcke, und bevor sie sich hinsetzte, faßte sie jedesmal hinten nach dem Saum, hob ihn an und setzte sich auf ihre Hosen. Sie machte das sehr präzise. Deswegen war ich immer schon da, wenn sie kam. Ich wollte mir das nicht entgehen la**en. Ich sorgte auch dafür, daß die Bank immer trocken war. Ich weiß nicht, ob sie das merkte. Aber daß ich zusah, wenn sie sich hinsetzte, wußte sie genau. Das kann mir keiner erzählen. So sind sie. Sie wissen genau, daß man zusieht, und machen es trotzdem. Eine Schau für sich war auch, wie sie dabei jedesmal ihre Scheinwerfer nach unten hielt. Sonst war es ihre Art, einen immerzu anzusehen. Aber in dem Moment hielt sie ihre Scheinwerfer nach unten. Ich glaube, Charlie hatte einen leichten Silberblick. Deswegen der Eindruck, daß sie einen ständig ansah. Ich weiß nicht, ob einer diese Porträts von Leuten kennt, die an der Wand hängen und einen immerzu ansehen, in welche Ecke man auch geht. Der Trick, den die Maler da haben, ist einfach der, daß sie die Augen so malen, daß die optischen Achsen genau parallel verlaufen, was sie im Leben nie tun. Bekanntlich gibt es keine wirklichen Parallelen. Ich will damit nicht sagen, daß es .mir unangenehm war. Das nicht. Bloß, man wußte nie, nahm sie einen für voll oder machte sie sich über einen lustig? Das konnte einen ziemlich krank machen. Ich sagte wohl schon, daß ich praktisch zum Inventar von diesem Kindergarten gehörte. Eine Art Außen-Hausmeister oder was. Fehlte bloß noch, daß ich den Zaun anstrich. Dieses Spielzeugreparieren und Karussellschieben gehörte sowieso schon zum Service. Und Luftballonaufblasen. An dem Tag, wahrscheinlich Kinderfest, hatte ich schon ungefähr zwei hoch sechs Ballons aufgeblasen, und beim zwei hoch siebenten wurde mir schwarz vor Augen, und ich kippte um. Ich kippte glatt um. Ich konnte vier Minuten tauchen, drei Tage hungern oder einen halben Tag keine Musik hören, ich meine: echte Musik. Aber davon kippte ich um. Als ich wieder auftauchte, lag ich in Charlies Schoß. Ich begriff das sofort. Sie hatte mein Hemd aufgemacht und ma**ierte meine Brust. Ich drückte meine Birne fest an ihren Bauch und hielt still. Leider bin ich blödsinnig kitzlig. Ich mußte mich also hinsetzen. Die Gören standen um uns rum. Charlie war blaß. Fast sofort tobte sie los: Wenn ich Hunger hätte, würde ich was essen, ja?! Ich meinte: Kommt bloß vom Aufblasen. Charlie: Wenn ich nichts zu essen hätte, würde ich mir was kaufen. Ich grinste. Ich wußte genau, warum sie so tobte. Weil sie ungeheuer froh war, daß ich noch lebte. Jeder einigermaßen intelligente Mensch hätte das gemerkt. Sie fraß mich förmlich auf mit ihren Scheinwerfern, Leute. Ich wurde beinah nicht wieder. Bloß die Gören hätte ich auf den Mond schießen können. Charlie: Wenn ich kein Geld hätte, würde ich arbeiten gehn. Ich sagte: Wer nicht ißt, soll auch nicht arbeiten. Ich hielt solche Verdrehungen für ziemlich witzig. Anschließend brachte ich mich hoch, schoß in meine Kolchose, mehr als zwei Schritte waren das nicht, und ruppte den ersten Salatkopf ab, den ich in die Klauen kriegte. Ich sagte wohl noch nicht, daß ich an einem Tag spaßeshalber alle Samentüten, die da noch in Willis Laube rumlagen, im Garten verstreut hatte. Als erstes war Salat gekommen. Salat und Radieschen. Ich fing an, mir den Salat zwischen die Zähne zu schieben. Der Sand knirschte, aber ich wollte nur folgendes loswerden: Wie wohl ist mir's, daß mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen. Natürlich hatte ich das von diesem Werther! Ich glaube, ich hatte an dem Tag so viel Charme wie nie. Charlie sagte bloß : Du Spinner ! Bis dahin hatte sie das noch nie gesagt. Sie war immer auf die Palme gegangen, wenn ich mit diesem Werther kam. Ich wollte sofort meine Chance nutzen und meinen Kopf wieder bei ihr unterbringen, und es hätte garantiert auch geklappt, wenn mir in dem Moment nicht dieses blöde Werther-Heft aus dem Hemd gerutscht war. Ich hatte mir angewöhnt, es immer im Hemd zu haben, ich wußte eigentlich selbst nicht, warum. Charlie hatte es sofort in der Hand. Sie blätterte drin, ohne zu lesen. Ich sah ziemlich alt aus. Ich wäre mir reichlich blöd vorgekommen, wenn sie alles mitgekriegt hätte. Sie fragte, was das ist. Ich nuschelte: Klopapier. Eine Sekunde später hatte ich das Ding wieder. Ich steckte es weg. Schätzungsweise zitterte mir leicht die Hand dabei. Seit dem Tag ließ ich es in der Laube, Leute. Danach wollte ich wieder weitermachen mit Charmantsein und dem, bloß da kam die Kindergartenchefin in den Auslauf getobt. Ich dachte erst, sie hat vielleicht was gegen meine geschätzte Anwesenheit. Aber sie sah mich gar nicht. Sie sah nur Charlie an, irgendwie komisch. Sie sagte: Mach Schluß für heute. Ich mach weiter für dich. Charlie verstand überhaupt nichts. Die Chefin: Dieter ist da. Charlie wurde käseweiß, dann knallrot. Dann sah sie mich wie einen Schwerverbrecher an oder was, und dann fegte sie ab. Ich sah nicht mehr durch. Die Chefin erklärte mir: Dieter ist ihr Verlobter. Er war an dem Tag von der Armee zurück, in Ehren entla**en und das. Fragte ich mich, wieso Charlie das nicht wußte. Das kriegt man doch geschrieben. Dann dachte ich an den Schwerverbrecherblick. Ich sollte schuld sein, ich, Edgar Wibeau, der Arbeitsscheue, der Halbmaler, der Spinner! An mir sollte es liegen, daß sie ihren Dieter nicht am Bahnhof mit Blumen und alldem empfangen hatte. Ich dachte, mich tritt ein Pferd. Ich glaube, ich sagte schon, daß ich ziemlich viel Charme hatte. Daß ich ankam bei Frauen oder bei weiblichen Wesen. Ich meine jetzt: geistig, oder wie man das nennen soll. Sylvia war fast drei Jahre älter als ich gewesen, aber von wegen Frau? Ich weiß nicht, ob mich einer versteht. Sylvia war weit unter meinem Niveau. Ich hatte deswegen nichts gegen sie, aber sie war weit unter meinem Niveau. Charlie war die erste ernsthafte Frau, mit der ich zu tun hatte. Ich hatte nicht gedacht, daß ich gleich so bei ihr losgehen würde. Ich wurde fast nicht wieder, Leute. Ich denke, das kam, weil ich immer an ihr drangeblieben war. Ich spurtete in meine Laube, das heißt, ich wollte. Vorher sah ich noch Dieter. Er war Charlie entgegengekommen. Er war in Schlips und Kragen, hatte einen Koffer, eine von diesen blöden Kollegmappen, ein Luftgewehr in der Hülle und einen Strauß Blumen. Ich schätzte ihn auf fünfundzwanzig, ich meine: diesen Dieter. Demnach mußte er länger ' gedient haben. Wahrscheinlich hatte er es bis zum General gebracht oder so. Ich wartete, ob sie sich küßten. Ich konnte aber nichts davon sehen. In der Laube griff ich sofort zum Mikro. Das mußte Old Willi mitkriegen. Eine Sekunde, und ich hatte den pa**enden Text: Genug, Wilhelm, der Bräutigam ist da! ... Glücklicherweise war ich nicht beim Empfange! Das hätte mir das Herz zerrissen. Ende. »Wenn es mit der Malerei nichts gewesen ist, frage ich mich, wovon er denn nun eigentlich gelebt hat.« »Er hätte höchstens irgendwo den Hilfsarbeiter abgeben können. Aber das hätten wir merken müssen, mein Mann und ich. Das heißt, damals waren wir noch nicht verheiratet. Wir kannten uns schon ziemlich lange, von Kind auf. Er war dann lange bei der Armee gewesen. Ich brachte ihn und Edgar zusammen. Dieter, also mein Mann, war zuletzt Innendienstleiter gewesen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das was sagt. Dabei hatte er jedenfalls viel mit Jungs in Edgars Alter zu tun. Ich dachte, er würde auf Edgar vielleicht ein bißchen Einfluß haben. Sie kamen auch ganz gut zusammen aus. Wir waren einmal bei Edgar, und Edgar war gelegentlich bei uns. Aber Edgar war ja nicht zu helfen. Es war ihm einfach nicht zu helfen. Dieter hatte wirklich eine Lammsgeduld mit ihm, vielleicht zu viel, ich weiß nicht. Aber Edgar war eben nicht zu helfen.« Es stimmt. Sie rückten mir beide auf die Bude. Mit ihrem Dieter zusammen traute sich Charlie wieder in meine Bude. Sie war ein paar Tage nicht im Auslauf gewesen. Ihre Gören ja, sie nicht. Dann tauchte sie mit Dieter bei mir auf. Sie duzte mich. Ich kannte das. Sie wollte Dieter klarmachen, daß sie zu mir stand wie zu einem harmlosen Spinner. Ich nahm sofort die Fäuste hoch. Ich meine, nicht wirklich. Innerlich. Ich sagte wohl noch nicht, daß ich seit vierzehn im Boxklub war. Außer Old Willi war das vielleicht das Beste in Mittenberg. Ich wußte zwar nicht, was Dieter für ein Partner war. Auf den ersten Blick schätzte ich ihn für ziemlich schlapp. Aber ich hatte gelernt, daß man einen Partner nie nach dem ersten Blick einschätzen darf. Bloß, daß er kein Mann für Charlie war, der Meinung war ich sofort. Er hätte ihr Vater sein können, ich meine, nicht altersmäßig. Aber sonst. Er bewegte sich mindestens so würdig wie Bismarck oder einer. Er baute sich vor meinen gesammelten Werken auf. Wahrscheinlich hatte ihn Charlie vor allem deswegen mitgeschleppt. Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, ob ich nicht doch ein verkanntes Genie war. Ansonsten hielt sie sich immer dicht neben Dieter. Ich hatte nach wie vor die Fäuste oben. Dieter brauchte ziemlich lange. Ich dachte schon, es kommt gar nichts von ihm. Aber das war so Dieters Art. Ich glaube nicht, daß er irgendein blödes Wort sagte, das er nicht dreimal überlegt hatte, wenn das reicht. Dann legte er los: Ich würde sagen, es könnte ihm nichts schaden, wenn er sich mehr auf das Leben orientieren würde in Zukunft, auf das Leben der Bauarbeiter zum Beispiel. Er hat sie ja hier direkt vor der Tür. Und dann natürlich gibt es hierbei wie überall gewisse Regeln, die er einfach kennen muß: Perspektive, Proportionen, Vordergrund, Hintergrund. Das war's. Ich sah Charlie an. Ich sah mir den Mann an. Ich hätte laut Scheiße brüllen können. Der Mann meinte das ernst, völlig ernst. Ich dachte erst: Ironie.