Sophokles - König Oedipus. Kapitel 2. lyrics

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Sophokles - König Oedipus. Kapitel 2. lyrics

Kapitel 2 Vor dem Palast. Links das mächtige Tor, rechts der heilige Hain, die Mitte frei zur Stadt hinab sich senkend. Das Tor geschlossen. Es ist Tag, aber schwerer Dunst, lastend über den ganzen Himmel, macht eine fahle Nacht aus dem Tag. Dumpfes Getös heraufdringend, stark und stärker. Die Gesichter zuerst am Rande rückwärts; dann unter dem Druck der Nachdrängenden fluten sie herein wie ein Gießbach; auf einmal ist der Platz bis an die Stufen des Palastes überschwemmt mit ihnen. Ihre Augen sind auf die Tür gerichtet, ihre Lippen wiederholen wie eine Litanei: »Ödipus, hilf uns! Hilf uns, König!« Es sind ganz junge Menschen, Knaben und Jünglinge, vereinzelt unter ihnen Greise. Eine Stimme (lauter als alle) Ödipus – König – hilf uns! (Die schwere Tür des Palastes tut sich jäh auf. Eine Stille. – Ödipus tritt hastig heraus. Alle Arme recken sich zu ihm.) Ödipus Ihr Kinder, was denn soll mir euer Knien vor meines Hauses Tür? was soll mir denn dies Strecken eurer Hände gegen mich, indes die Stadt bei Tag und Nacht dumpf stöhnt, und singt und jammernd schreit bei Tag und Nacht herauf zu diesem Haus. Ich will dies nicht gemeldet haben erst durch fremden Mund. Ich selber tret' hervor – ich, Ödipus. So redet, – was treibt euch hierher? Stimmen (matt, gräßlich) Die Pest ist auf uns – von Haus zu Haus, von Leib zu Leib der schwarze gräßliche Tod – wir sterben dahin – wir sterben alle, sterben! Wie leere Höhlen starren die Häuser – der Markt ist voll mit Toten – Sie stauen den Fluß – das Feuer verbrennt sie nicht mehr – Wir wa*ken daher, und wo wir wa*ken, atmen wir den Tod – Und wir sind jung.! – Hilf uns, König! Ödipus Der Alte rede. Was ihr wollt von mir, begehrt, erhofft, erwartet, will ich hören. Ich will euch helfen, will ja – herzlos wär ich, wenn euer Knien mich nicht jammerte vor meiner Tür. Priester (sein Haar ist verwildert, die Priesterbinde halb gelöst) Nun denn, du großer König, einst schon Erlöser dieser Kadmos-Stadt, gewaltig Haupt du, ragend, Ödipus, hoch über allen – hilf doch unsrer Not, erfind' ein Etwas, dring' mit deinem Denken ins Dunkle, find' uns eine Abwehr, du! Sag' uns, wir sollen dahin oder dorthin, – geh', der du größer bist als wir, geh hin, wie der Hausvater hingeht, fa**' die Stadt, die, in die Knie gebrochen, stöhnend daliegt, den Kopf am Boden, stoßweis atmend – fa**' sie beim Horn und richte, Ödipus, o richte die Stadt doch wieder auf – Herr, deine Stadt! Mit günst'gen Sternen hast du einmal, damals, dies Glück geschaffen – nun bewähre dich zum zweitenmal! ÖdipusIhr armen Kinder, kund ist mir, nicht unbekannt, um wessen willen ihr kämet. Und ich weiß – ich weiß die Namen all eurer Leiden – weiß sie – geh mit ihnen zu Bett und steh mit ihnen auf und trag sie im Herzen und im Hirn und hab das Ohr mit ihrem Atem voll und meine Zunge schmeckt nichts als sie. Drum habt ihr mich auch nicht aus Schlummerruh geweckt. Ich saß und wachte und weinte – weinte um die Stadt – um euch – um mich. Und dies ist nicht der erste Tag, der so mich grüßt. Doch nicht wie Weiber weinen, wein' ich, ich wein' und ringe gegen das, was ist, und sinne hin und her und schicke mein Denken hier- und dorthin. Und mein Sinn fand dieses eine Mittel und nicht heute wend' ich es an – nein, längst: zum pythischen Palast und zum geheimnisvollen Thron des Phoibos sandte ich vor vielen Tagen den Kreon, meinen Schwager, um zu forschen, wie ich die Stadt erlöse. Aber Kreon bleibt mir zu lang und länger als der Weg und als der Auftrag fordert, und mein Herz hat diese Sorge zu den frühern und die Qual des Wartens zehrt an mir. Doch kommt er, dann wär' ich schlecht und niedrig, tät' ich dann nicht alles, was der Gott mich heißen wird. Was rufen diese? Priester Kreon rufen sie. Sie sehn ihn kommen. Stimmen Kreon! Kreon! Kreon! Ödipus O Fürst, mein Bruder, tu' die Lippen auf! Welch' einen Ausspruch bringst du uns vom Gott? KreonMich dünkt, den besten. Denn wenn schlimme Dinge zu gutem Ende kommen, dann, so mein' ich, steht alles gut. Ödipus Das Wort! Das Wort des Gottes! Dein Reden da macht weder froh noch bang. Kreon Meld' ich vor diesen da des Gottes Botschaft wie? oder wo wir ohne Zeugen sind? Ödipus Heraus vor allen denen. Denn um diese trag' ich den schwerern Kummer als um mich. Kreon So gehe denn des Gottes Wort hervor aus meinem Mund: uns heißt der Herrscher Phoibos – und er gebietet's klar und unverhüllt – aus diesem Land zu treiben einen Mann, der wohnt in diesem Land und gräulich wohnt – Pestbeule am gesunden Leib, Verderbnis im heil'gen Boden haftend, um sich fressend Fäulnis und Grausen. Ödipus Und die Reinigung auf welche Weise? Wie wird dies vollzogen? Kreon Durch Ächtung, oder so, daß Blut für Blut vergossen wird. Denn Blutschuld ist die Nacht, die zäh und gräßlich uns den Tag verhängt. Ödipus Und welchen Mannes Tod wird hier verlangt? Kreon Herr, Laios war unser König hier, eh' du die Zügel nahmest dieser Stadt. Ödipus Das weiß ich, da ich's hörte. Selber freilich hab' ich ihn nie gesehn. Kreon Um seinetwillen, des Toten, wird gefordert, daß die Hand sich waffne und ein Schwert zum Schlag sich hebe auf seine Mörder. Ödipus Doch wo hausen die? Wo läuft die dunkle Spur so alter Blutschuld? Kreon In diesem Lande, sagt der Gott, Er sagt: Wer sucht, wird finden. Nur was keiner achtet, entrinnt ins Dunkel. Ödipus War's in seinem Haus, war's auf dem Felde, war's in fremdem Land, daß Laios fiel? Kreon Er zog als Pilger, dies war seine eigne Rede, in die Fremde. Heim kam er nicht mehr. Ödipus Und war kein Mensch dabei, kein Fahrtgenoss', kein Diener – gibt es keinen, aus dem man etwas noch ans Licht – Kreon Auch sie sind nicht zurückgekommen bis auf einen: der war aus Furcht geflohn und wußte nichts von allem, was er sah, zu sagen, außer eines. Ödipus So! Was denn? Eines deckt das andere auf – den Zipfel einer Hoffnung fa**en wir. Kreon Er sagt, auf Räuber stießen sie, der König erlag der Überzahl, nicht einem Starken. ÖdipusDes unterfingen Räuber sich und waren von hier nicht angestiftet – nicht von hier gekauft? Kreon Auch dahin ging Verdacht, doch trat in jener Not kein Rächer auf für Laios. Ödipus Was war für eine Not, so fürchterlich, zu hindern, daß man sich bekümmert hätte um eines Königs Tod? Kreon Die Sphinx, mein Fürst, die trieb genug gewaltig, nur aufs Nächste zu achten und zu la**en, was im Dunkel lag. ÖdipusSo bring' denn ich's vom Anfang an den Tag. Denn recht hat Phoibos, recht hast du, daß euer Mund sich auftut um des Toten willen, des vergessnen. Darum verbünde ich mich euch, verbünde mich mit Gott und diesem Land. Hier geht es nicht um ferner Freunde Heil: vom eignen Haupt wehr' ich den Greuel ab, der mich umschwirrt: denn wer es immer war, der jenen totschlug, wer bürgt mir, daß er nicht die gleiche Hand erhebe wider mich: drum dien' ich mir, wenn ich dem Toten diene. Auf, ihr Kinder, laßt andre um mich sein, mit grauen Köpfen! Nun muß ich mich beraten mit den Klugen und stark sein mit den Starken und ans Ende von diesen Dingen gehn, dann werden wir sehr glücklich sein und mit dem Gotte! oder wir werden niedergehn. Die Knaben (zurückweichend, sich neigend, wie abschiednehmend) Ödipus! König Ödipus! (Ödipus mit Kreon und dem Gefolge in den Palast) (Die Tür fällt zu. Die Knaben weichen völlig zurück, verschwinden.) Die Greise (auftretend zu sieben von rechts her aus dem heiligen Hain. Das Gewölk des Himmels ballt sich finster zusammen, durch einen Spalt aber fällt ein Strahl der Sonne, die schon tief zu stehen scheint, auf den Palast Die Greise treten heraus, ihre Stimmen klingen gedämpft) (einzeln) : Wer wendet das Gräßliche ab? – Mein Herz ist alt und voll Furcht – Athene! Artemis! Phoibos! Wer von euch wendet es ab? (zugleich, die Arme hebend, in einer Reihe): Athene! Artemis! Phoibos! Der Erste Mörder, der mit Pantherarmen mich von rückwärts überfällt, dessen Schrei ins Ohr mir heult, der mit Fieber das Mark mir verzehrt – Mörder ohne Gestalt, Mörder Tod, hinaus! Jagt ihn! Stoßt ihn hinab! Klippen hernieder ins schäumende Meer, wo Brandung zischt, stoßt ihn hinunter! Götter zücken ihre Strahlen! Götter fliegen uns zu Hilfe! Götter! Bacchos! Apollon! Greise Bacchos! Apollon! Ödipus (langsam aus dem Hause) Du betest. Bete nur – du kannst wohl etwa herniederbeten, was ein Ende bringt. Dies sag' ich, selber fremd der ganzen Sache, fremd wie ich bin, der ich erst später kam in diese Stadt und König wurde hier, ein Fremder. Aber euch, Kadmäer, euch ruf' ich nun auf: wenn einer unter euch ist, der jemals dies erfuhr, durch wessen Hand Laios, der König, starb, den heiß' ich dies mir melden. Und wofern es ist, er müsse sich selber nennen, und er scheut die Klage wider das eigne Haupt: er sei getrost, ihm widerfährt kein Übel, nur dies Land muß er verla**en; straflos zieht er hin. Und kennt er einen andern, andern Landes Genossen als den Täter, soll er's nicht verschweigen, denn ich lohne ihm's und Dank bekommt er noch dazu. Doch wenn er mir mit Schweigen trotzen wollt', wenn einer wäre und wüßte drum und nur aus Angst um sich, aus feiger Furcht für einen, der ihm lieb ist, verschmähte er mein Wort – hört mich, Kadmäer, wie ich an diesem tun will: ich verbiete, daß ihn – und sei er wer er sei im Lande, darin ich Herrscher bin und diesen Zepter in Händen trage – jemand in sein Haus aufnehme, noch auch zu ihm rede, noch bei Opfer und Gebet ihm Anteil gönne. Nein, jeder stoße ihn von seiner Tür als einen Greuel, der die Luft uns schändet und diesen heil'gen Boden, wie der Gott es offenbart. Denn mit dem Gott und mit dem toten Mann bin ich lebend'ger König verbündet, und ob er allein die Tat, ob mit Gesellen sie beging, ich wünsche, daß er, der Schlimme, schlimm sein Leben friste, in Elend, Not und Schmach. Dies gleiche wünsch' ich mir selber auf mein Haupt, wofern er je mit meinem Wissen sitzt an meinem Herd und unter meinem Dache schläft. Von euch verlang' ich, daß ihr ganz da**elbe heilig erfüllt um meinetwillen, um der Stadt und um der Götter willen. Wär' kein Gott und keines Gottes Stimme hier im Spiel, es ziemte dennoch nicht, daß diese Tat hinwucherte wie Unkraut, ungejätet, denn der Erschlagne war ein guter Mann und euer Fürst. Nun aber hat ein Gott geredet und ich hab's vernommen, ich, und sitz' auf seinem Thron und hab' in Händen den Stab aus seiner Hand und hab' sein Weib zum Weibe und die Kinder, sein und meine – wenn seinen Stamm das Glück nicht jählings abhieb, so wären sie Geschwister – aber nun brach ein Geschick hernieder auf sein Haupt, um dessentwillen kämpfe ich für ihn, als wäre er mein Vater, und ich will nicht ruhn noch rasten, bis der Frevler mir am Lichte ist, der Mörder dieses Königs vor mir, des Laios, Sohns des Labdakos. Dies ist mein Wort. Wer gegen dieses handelt, dem fluch' ich, welchem dieses wohlgefällt in seinem Herzen, diesen segne ich: das ewige Recht und alle Götter seien mit ihm. Greise (zusammen) Ich tat nicht dies – ich weiß den Täter nicht. Nennen soll ihn der Gott! Ödipus Wer zwingt die Götter? (Stille.) Erster Greis Schweigt der Gott, so redet einer vielleicht Zweiter Greis Weiß der Gott alles, einer weiß vieles. Greise Teiresias! Ihn frage, König! Ödipus Auch dies ist nicht versäumt. Zwei Boten hab' ich Um ihn gesandt. Mich wundert, daß er säume. (Stille Greise (murmelnd unter sich) Noch lebt ein Wort, ein längst verschollnes taubes Wort. Ödipus Wie lautet's, denn ich acht' auf jedes. Erster Greis Wandrer erschlügen ihn, so heißt's. Ödipus Ich hört' es schon. Allein den Zeugen weiß man nicht. Wo ist er? Erster Greis Wenn sein Herz nicht gefeit ist vor Grausen, dem Fluche trotzt er nicht! Er hört ihn und stellt sich. Ödipus Wem vor der Tat nicht grauste, graust vor Worten nicht. Erster Greis Es lebet, der ihn überführt. Sie bringen den Seher. (Teiresias tritt auf, von einem Kinde geführt.) Ödipus Teiresias, der du alles, was bekannt ist und was geheim und was der Himmel brütet Und was die Erde trägt, mit innerm Licht durchdringst, unsehend sehend, auch dies Elend ist dir nicht verborgen, unsres da. – Drum suchen wir bei dir die Rettung, Herr, für diese Stadt. Denn so der Bote dir's nicht schon gesagt, vernimm, daß Phöbos unsre Sendung so erwidert: diese Seuche läßt uns los, wenn wir des Laios Mörder stellig machen und ihn erschlagen oder Lands verweisen. Mißgönn' uns nicht den Rat, der in dir wohnt, denn was ist schöner, was ziemt so dem Mann, als helfen, wo er kann. Teiresias Weh, schlimmes Wissen, qualvolles Schauen, wo Grausen am Ende steht! O weh, ich wußt' es vorher und konnt' es vergessen – vergessen – nimmer sonst kam ich hierher. Ödipus Was ist? Was wirst du trüb', Teiresias? Teiresias Laß mich fort – trag' du das deine! ich will das meine tragen – hör' auf mich! Ödipus Nicht was du sollst, nicht was dir ziemt, redest du da! Es ist deine Stadt, die Mutter! Weigerst du ihr den Spruch? Teiresias Was einer redet, gedeiht ihm nicht. Das seh' ich an dir. Jetzt eben seh' ich's. Davor will ich mich wahren. (Will gehen.) Greise (niederfallend) Versag uns nicht das Wort! Rede, wir liegen vor dir! Teiresias Ihr wißt nicht, was ihr tut! Niemals, niemals kommt's über meine Lippen. Um euretwillen. Ödipus Wie? Weißt es und willst nicht reden und wir gehn zugrunde! Teiresias Was drängst du mich? Drängst doch vergeblich. Ödipus Du böser Alter! Einen Stein triebest du zur Raserei – du sagst es nie? Nichts rührt dich? nichts hat Macht über dich? Teiresias Was weißt du von mir – was weißt du von dir? Ödipus Wo ist ein Mensch, der das mit Ruhe anhört? Und die Stadt geht zugrund'! Teiresias Es macht sich frei, es windet sich los, ob ich's bedecke mit Schweigen – es kommt herbei. Ödipus Was kommen wird, du sollst es sagen, das, das eben – sagen. – Teiresias Mein Mund bleibt zu. Ödipus So muß es denn heraus! Ich halt' mich nicht mehr! Ich ahne, wie das steht. Du hast die Tat im Dunkel angezettelt – du! Nur eben die Hand nicht angelegt – das nicht, weil du ja blind bist! Wärest du sehend, ich schrie es laut: dir gehört die Tat, dir ganz allein! Teiresias (böse) Wahrhaftig? – Nun, so gebe ich den Rat bei dem zu bleiben, was du kundgetan zuvor – du, König, als dein eigner Herold, und weder mich von Stund' an noch auch diese mehr anzureden. Ödipus Ich? Teiresias Da du der Greuel bist, der blutbefleckte, das Gespinst des Grausens, die fressend Beule dieser Stadt. Ödipus Schamlos, wie er mit diesen Worten herumwirft – mit diesen Worten! Und du meinst, daß du, Mensch, dem entrinnen wirst – Teiresias Bin schon entronnen! Um mich mein Schutz, flügelschlagend, die Wahrheit, mein Besitz! Ödipus Und woher hast du sie? Doch schwerlich wohl von deiner Kunst? Teiresias Von dir – du! du! – du reißt es mir heraus. Ödipus Noch einmal – wiederhol' es – deutlicher! Teiresias Du hast mich nicht begriffen? Oder prüfst du mich? Ödipus Ich faß' es noch nicht ganz. Sag' es noch einmal! Teiresias Des Mannes Mörder, den du suchst, bist du! Ödipus Nicht noch einmal – nicht ungestraft! Teiresias Willst du was anderes noch hören? Ödipus (verachtungsvoll) Was du willst. Soviel du Lust hast. Es ist so wie leere Luft. (Er bläst Luft über seine Lippen.) Teiresias Ich sag', du lebst in scheußlicher Vermischung mit deinen Nächsten und du kennst die Tiefe nicht des Grausens, drin du wohnst. Ödipus Und unbekümmert und fröhlich, meinst du, wirst du fort und fort so reden? Teiresias Wohl. Sofern die Wahrheit Macht und Kraft besitzt auf dieser Welt. Ödipus Das tut sie. Nur über dich nicht. Denn du bist ja taub und blind zugleich und innen auch! Teiresias Ödipus! So wie du mich da schmähst, so wird in kurzem ein jeder hier dich schmähen! Ödipus Du Geschöpf, das ewig wohnt in finstrer Nacht, was hast du zu schaffen hier mit uns? Was kannst du anhaben denen, die im Lichte wohnen? Teiresias Auch ist dir nicht verhängt, durch mich zu stürzen in deinen Abgrund. Dazu ist Apollon der Rechte und schon ist er an dem Werk. Ödipus Sag' kurz: Stammt alles dies aus deinem Hirn? ja? oder sind's Erfindungen des Kreon? Teiresias Kein Kreon gräbt die Grube, du allein gräbst sie schon selbst. Ödipus Macht, Reichtum .Herrscherthron, ihr schönen Kräfte, im Kampfe der Lebenskräfte andern trotzend, wie kriecht der Neid um euch herum, wie gräßlich, wenn dieses Thrones willen, den die Stadt als freien unbegehrten Lohn mir gab, mein Schwager Kreon, mein geschworner Freund, mir heimlich nachstellt, mich ins Elend jäh zu stoßen sinnt und diesen Gaukler auf mich hetzt, den alten Taschenspieler da, der Augen hat für seinen Vorteil, aber sonst für nichts. Denn rede doch: wo hast denn du einmal die hohe Seherkraft bewährt? – Ich meine, es war hier einmal Not an Mann: es saß doch auf einem Felsen vor der Stadt, mich dünkt, die Sphinx und sang, die Hündin, Tag und Nacht in eure Qual hinein – wo warst denn damals du? Denn mir ist, daß damals Ödipus hereinkam – wie? – der Nichtverstehende, kein Seher – und ein Ende machte dem, woran ihr da verdarbet. Aber diesen suchst du jetzt fortzutreiben, weil dann Kreon auf diesem Thron wird sitzen, wie du meinst, und du wirst seine rechte Hand sein: aber schlecht wird dieses Kunststück euch bekommen, dir und deinem Helfer. Wärst du nicht so alt, du solltest fühlen lernen – büßend fühlen, was du mir ausgebrütet! Teiresias Und bist du der Herrscher, dir entgegen red' ich, rede so stark wie du, des' ist in meiner Seele Gewalt. Ich leb', und nicht dein Untertan – einzig dem Gott nur, ihm, und brauche keinen Kreon, daß er mich schütze! Höhnst du mich blinden Mann? Blinder du selbst, erkennst nicht, in welcher Höhle dein Lager! Siehst nicht, wer die sind, die mit dir hausen! Sag' doch, woher du stammst? Fremd und feind den deinen daheim, den deinigen hier. Wohnst im Lichte? Nicht mehr für lange! Mit schrecklichen Schritten kommt ein Fluch von Vater und Mutter und jagt dich hin, dann frißt dich die Nacht, dann heulen die Berge, dann heulen die Buchten hinter dir drein den Wehruf. Ödipus Dies soll ich tragen – dies mir dulden? Fort! Hinweg mit dir von dieser Schwelle – fort! Zur Hölle fort mit dir! Teiresias Riefst du mich nicht, Teiresias kam nimmer vor dein Haus. Ödipus Wußt' ich, daß du ein Narr bist? Teiresias Bin ich dir ein Narr und schien doch deinen Eltern weise? (Er geht.) Ödipus Halt! Welche Eltern? Wer auf dieser Welt hat mich gezeugt? Teiresias Dich zeugt der heut'ge Tag – zeugt dich und macht dich zunichte. Ödipus Gräßliche Finsternis redet sein Mund! Rätsel auf Rätsel! Teiresias Bist du nicht der, vor dem die Rätselfrager verstummen? Ödipus Ja, begeifre nur, was groß mich schuf. Teiresias Elend schuf's dich zugleich. Ödipus Mag es! Hab' ich die Stadt erlöset doch! Teiresias Fort nun! Schnell, Knabe, führ' mich weg! (Es ist indessen fast völlig dunkel geworden.) Ödipus Ja, laß' dich führen. Bist du hier, so lastet ein häßlich Etwas, bist du fort, wir atmen dann wieder frei. (Er wendet sich, hineinzugehen.) Teiresias Ich gehe fort, doch werf ich ins Antlitz dir das Wort, um dessenwillen ich herkam, denn dein Arm erreicht mich nicht. Ich sage dir: den du mit Heroldsrufen und Flüchen suchest, jener Laiosmörder, der Mann ist hier am Ort. Es wird sich zeigen, daß er vollbürtig ist, theban'sches Blut, nicht bloß ein zugela**ner Fremdling. Blind aus einem Sehenden, sonst reich, jetzt Bettler, wird er am Stabe sich ins Elend tasten. Erfunden wird er werden als ein solcher, der haust mit seinen Kindern als ihr Bruder zugleich und Vater, und von der er stammt, des Weibes Sohn und Gatte, und des Vaters Genoß' im Eh'bett und zugleich sein Mörder. Nun, König, geh' hinein und denke diesem nach, und lüg' ich dir zuletzt, dann höhne mich! (Ab.) Ödipus (ins Haut ab. Das Tor fällt zu. Nacht.) (Die Greise treten vor.) Erster Greis (umblickend) Wer? Zweiter Greis Wer hat es getan mit blutigen Händen? Dritter Greis Das Unsägliche! Alle (zugleich) Er fliehe! er fliehe! (Sie sind an der Mauer des Palastes.) Erster Greis (die Hände aufhebend) Im wilden Walde schweift er hin, durch Schlünde und Klüfte klimmt sein Fuß, er will die Stimme nicht hören! Doch fliegt sie ihm nach und umflattert sein Haupt, – er entflieht ihr nicht! Zweiter Greis (an dem Hause) Ist er nicht klug, ist er nicht gut und unser König – und ihn stürzte ein Wort – ein Hauch vernichtete ihn! Ödipus! Ödipus! Alle Dunkel! – Wer schaut ins Dunkel? Götter allein – Zeus – Apollon! (stark) Zeus! Apollon! (Kreon von rechts, in dunklem Kleide. Vor ihm ein Fackelträger. Er gebt auf das Haus zu.) Die Greise (aus dem Dunkel) Kreon! Kreon (stehenbleibend; in der Mitte) Wer ruft? Wer klagt mich an? Die Greise Ödipus! Kreon So will ich sterben, wenn ich untreu bin! Wer erfindet mich untreu der Stadt? – den Freunden? – euch? – ihm? – wer? Erster Greis Ich weiß nicht. Was die Herrscher tun, das seh' ich nicht. Kreon Er selber sprach das Wort? Antworte mir: mit klarem Blick, seiner selbst bewußt, bei Sinnen? Antworte mir! Zweiter Greis Ich weiß nicht. Was die Herrscher tun, das seh' ich nicht. (Das Tor auf; Licht bricht heraus. Ödipus steht da. Die Greise treten nach rechts hinüber ins Dunkle.) (Ödipus und Kreon stehen sich Aug' in Auge.) Ödipus Du hier? Wie wagst du das? mit welcher Stirn? Der du gezielt nach diesem Haupte da? Vor aller Augen die Finger krallst nach der Krone? Rede doch: bin ich dir dumm oder feig, daß du das ersannest an mir zu tun? Hast du gemeint, ich könne das Netz nicht merken? wie? oder nicht zerreißen, wenn ich's gemerkt? Wer bist du denn? Einen Thron erobert Glück oder Kraft – Wer bist du – Kreon! Kreon Hör' mich, dann richte. Ödipus Zu hören brauch' ich dich nicht. Was du getan, redet für dich. Strafen werd' ich. Kreon Was hab' ich dir getan, mein Bruder Ödipus? Welches Leid dir angetan? Ödipus Der mich hieß, Boten senden an den Seher, warst du – oder warst es nicht? Kreon Ich war's und steh' noch ein für den Rat. Ödipus Stehst ein. (Pause) Wie lange ist das her, daß Laios – Kreon Was Laios –? Weiter! Ich versteh' dich nicht! Ödipus Verschwand – ganz spurlos – hingemordet irgendwo. Kreon Lang' ist das her. Ödipus Lang'! Und hat damals schon des Propheten Kunst geblüht? Kreon Er war von jeher ein großer Seher. Damals gerade so wie heute. Ödipus Und hat er damals immer so gedacht? Kreon Nicht daß ich wüßte. Ödipus Aber nach dem Mörder habt ihr geforscht? Kreon Das taten wir. Allein stumm blieb um uns die Welt. Ödipus Warum hat damals der weise Mann es nicht gesagt? Kreon Das weiß ich nicht. (Pause.) Ödipus Doch so viel weißt du – so viel kannst du auch sagen, wissend, daß du's weißt: daß jener Alte, kam er nicht mit dir zusammen, nie und nimmer hätt' den Mord des Laios mein Werk genannt. Kreon Davon weiß ich nichts. Darf ich nun fragen? Ödipus Frag' nur. Ich bin kein Mörder. Kreon Sag', ist nicht meine Schwester dir vermählt? Ödipus Soll ich dir das verneinen? Kreon Teilst du nicht – und willig, dieses Landes Macht mit ihr? Ödipus Soviel sie wünscht. Kreon Und bin der Dritte dann und euch zunächst nicht ich? >Ödipus Da sagst du's, Kreon! Weh ungetreues Herz! Kreon (hebt die Hände) Du sollst es prüfen – erwäg' es, Herr! Soll ich nach Herrschaft gieren, die muß voll Sorgen sein, statt daß ich so die gleiche Macht wie einen weichen Mantel um mich gezogen, ohne Alpdruck schlafe? Was soll ich wollen, der ich als ein Fürst gehalten bin, ein kummerfreier Herrscher, die Brust umspielt von weicher Luft, und alle umschlingen meine Hand mit ihren Händen und meines Mantels Ende fa**en sie und ihre Augen schmeicheln meinen Augen, wenn sie vor dich hin wollen, o mein Bruder! Dies sollt' ich fahren la**en, süß und reich, wie's mich umgibt, und haschen, wie in fahlen Halbträumen nach dem andern? Ödipus! kennst du mein Herz so schlecht? nimmst du mich so? auf unerwiesnen Argwohn? Ödipus! (Er rührt sein Gewand an.) Laß' doch die Zeit mich prüfen. Triffst du mich mit dem – mit jenem – mit dem Seher dort geheime Pläne schmieden, straf mich dann! Straf mich, wie du noch nie gestraft! Allein stoß' nicht den Freund von dir um nichts! Ist's nicht, als würfest du dein eigen Sein im jähen Zorn von dir! Sind Jahre nichts? Gelebte Jahre, Ödipus! Die Greise (murmelnd) Er redet ein gutes Wort! Wer sich vor jähem Sturze in acht nimmt, hört ein solches Wort, o Fürst! Der Rasche handelt selten wohlbedacht. Ödipus Im Rücken spinnt Verrat sich an und ich soll zögern, ruhig warten, bis ich hin bin und er an seinem Ziel? Kreon Was denn begehrst du? Du stoßest mich aus diesem Land? Ödipus O nein. Kreon Nein? Ödipus Nein. Geächtet wirst du nicht. Du stirbst. Kreon Wahnsinniger! Ödipus Nun bei Vernunft, nun erst vielleicht zum erstenmal. Kreon Vernunft -- Ödipus Für mich. Für mich. Kreon Doch auch für mich verlang' ich sie – Vernunft? Ödipus Kreon, du bist ein Schurke. Kreon Und wenn dies alles Unsinn ist? Ödipus Auch dann hast du zu bücken dich. Kreon Nicht vor dem Unrecht, das bös sich spreizt. Ödipus O Königtum von Theben! Kreon Auch ich bin Blut von Theben, ich bin auch ein Teil von dieser Stadt. Greise Ihr Fürsten! Still! Jokaste kommt, die Königin! (Jokaste tritt aus dem Tor.) Jokaste Unselige, was streitet ihr im Dunkeln? Schämt ihr euch nicht noch finstres Leid zu schaffen, wo alles rings von finstrem Leiden stöhnt? Geh' in dein Haus zurück, schnell, Kreon, geh! Kreon Schwester, das Ungeheuere, dein Mann verhängt es über mich und schreit: es ist Gerechtigkeit. Er stößt mich aus der Heimat, oder er liefert mich dem Henker! Ödipus Ja! so tu ich, meine Frau. Denn ich hab' ihn ertappt, wie er Verrat im Dunkel spann. Kreon So töte mich ein Fluch, wenn ich getan hab', wess' er mir Schuld gibt. Jokaste Glaub' doch bei den Göttern, glaub' doch dem Eid. Er schwört ja doch. Bezähm' doch deinen Zorn vor mir und vor den Männern, die dort im Dunkel stehn. Die Greise Gib nach, mein Fürst! Bezähme dich' Ödipus Was soll ich tun? Die Greise Stoß' nicht den Freund von dir! Verachte nicht gelebte Jahre! Sie sind alles, was uns bleibt! Ödipus Und weißt du, was du forderst? Die Greise Weiß es wohl. Ödipus So rede! Die Greise Er hat sich rein geschworen. Aus grundlosem Wahn stoß' ihn nicht fort! Ödipus Begehrt ihr das? So habt ihr mein Verderben begehrt. Die Greise Nein! nein! nein! Zerbrich mir nicht mein altes Herz! Mög' ich vergehn, wenn ich jemals das gedacht! Ödipus So geh er hin und müßt' ich zehnmal drum zugrunde gehn. Dein Jammer schneidet mir ins Herz. Doch, wo er bleiben wird, werd' ich ihn ha**en. Kreon Ödipus! Ödipus Fort! Laß' mich! Heb' endlich dich von hier! Kreon Ich geh', ich gehe. Du kennst mich nicht, die aber kennen mich. (Er geht.) Die Greise (unter sich) Was führt sie den Mann nicht hinein? ins Haus, in den Frieden? Jokaste (mit Ödipus vor dem Tor. Von innen aus dem Haus fällt Fackellicht.) Sag mir, was es war. Mich ängstet dein Zorn, Mich ängstet das Dunkel. Ödipus Betrug und Tücke, namenlos! Jokaste Sprich es aus! Zu mir, Ödipus! Ödipus Er sagt – er sagt, es kommt heraus, daß ich der Mörder dieses Laios bin – Jokaste Er sagt? Was heißt: er sagt? er meint es? er bezeugt's? oder er hat's gehört von irgendeinem? Ödipus O, er nimmt's nicht in seinen Mund, das Wort. Er hat den schurkischen Seher ausgeschickt – Jokaste Den Seher! O dann schlag' dir's aus dem Sinn. Hör' mich doch an: es gibt kein sterblich Wesen, das Seherkraft besitzt. Ich weiß es, ich, und ich beweis' es dir: dem Laios ward so verkündigt, o mit solcher Wucht, daß ihm der Tod bestimmt sei von der Hand des eignen Sohnes. Nun? und haben ihn auf einem Kreuzweg wo in fremdem Wald, nicht fremde Räuber eines Nachts erschlagen? Und hat des armen Kindes Leben kaum den dritten Tag geseh'n, so griff er es und band mit Riemen ihm die kleinen Füße und warf's durch eines Knechtes Hand hinaus in öde Wildnis, die kein Fuß betritt. So hat Apollon weder dies erfüllt noch jenes: jenes Wesen wuchs nicht auf und ward kein Vatermörder, Laios erlitt nicht seinen Tod von Kindeshand. Da hast du ihre Sehersprüche. Will ein Gott das Schicksal offenbaren, reißt er selber leicht die dunklen Schleier weg. Ödipus Weib! Weib! wie du da redest, wühlt sich mir das Innre um und gräßlich fliegt im Hirn das Denken. Jokaste Was beängstigt dich? was meinst du? Ödipus Ich glaub'; du hast gesagt, auf einem Platz im Walde, wo sich Wege kreuzen, wurde Laios erschlagen. Jokaste Ja, so ward gesagt. Ödipus Wo liegt das Land, wo dies geschah? wo liegt es? Jokaste Das Land heißt Phokis. Mit dem Weg nach Daulia ans Meer trifft sich ein Hohlweg, der nach Delphoi hinaufführt. Ödipus Wie viel Zeit mag seit der Tat verflossen sein? Jokaste Es war nur wenig früher, daß wir's erfuhren, als den Tag, den du hier zu uns kamest und dann König wurdest. Ödipus (zum Himmel) O Zeus! was hast du mir zu tun beschlossen! Jokaste Mein Ödipus, was faßt dich an? Ödipus Frag nicht. Noch nicht. Vom Laios melde mir. Nur schnell. Wie war sein Wuchs? von welchem Alter war er? Jokaste Groß, eben fing sein Haar zu bleichen an. Dir glich in vielem die Gestalt. Ödipus O weh'! O weh' mir Armem! bodenloser Abgrund gräßlicher Flüche, selbst gegraben, selbst mich selber hinabgestürzt! Jokaste Mein Fürst! ich habe Furcht. Ödipus Ich habe Angst, gräßliche Angst, es könnte der Seher richtig das gesehen haben . . . (Er rafft sich auf.) Das wird sich zeigen, wenn du eines noch mir sagst. Jokaste Mich schüttelt solche Furcht! Sei ruhig, ich werde alles sagen, was ich weiß. Ödipus Ob jener Laios einfach reiste oder mit viel Gefolge, als ein Fürst? Jokaste Es waren im ganzen fünf. Darunter war ein Herold. Ein Wagen bloß, auf dem fuhr Laios. Ödipus Ah! alles klar! Wer war es denn nachher, der diese Nachricht brachte, Weib! Jokaste Ein Diener. Der einzige, der sich rettete. Ödipus Wo ist er? im Haus? Jokaste Nicht mehr. Nachdem er wiederkam und sah die Macht in deinen Händen und verschwunden Laios, so warf er sich vor mir zur Erde, faßte mein Gewand und bat mich flehend, ihn aufs offne Land zu la**en, zu den Herden. Und ich ließ ihn. Denn war er auch ein Knecht, er war wohl noch viel größrer Gnaden wert, als dieser Gunst. Ödipus Er muß herbei. Geht das? geht das in Eile? Jokaste Das kann er. Doch zu welchem Zweck begehrst du's? Ödipus Mir bangt um mich, Frau, daß ich schon zu viel geredet habe. Darum wünsch' ich ihn zu sehen. Jokaste Er soll kommen. Doch auch ich verdiene wohl, mein König und Gemahl, zu wissen, was dir so das Herz beschwert.