Annette von Droste-Hülshoff - Gemüt und Leben - Kapitel 18 lyrics

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Annette von Droste-Hülshoff - Gemüt und Leben - Kapitel 18 lyrics

Auch ein Beruf Die Abendröte war zerflossen, Wir standen an des Weihers Rand, Und ich hielt meine Hand geschlossen Um ihre kleine kalte Hand. »So müssen wir denn wirklich scheiden? Das Schicksal würfelt mit uns beiden, Wir sind wie herrenloses Land. »Von keines Herdes Pflicht gebunden, Meint jeder nur, wir seien grad' Für sein Bedürfnis nur erfunden, Das hilfbereite fünfte Rad. Was hilft es uns, daß frei wir stehen, Auf keines Menschen Hände sehen? Man zeichnet dennoch uns den Pfad. »Wo dicht die Bäume sich verzweigen Und um den schlanken Stamm hinab Sich tausend Nachbaräste neigen, Da schreitet schnell der Wanderstab. Doch drüben sieh die einzle Linde, Ein jeder schreibt in ihre Rinde, Und jeder bricht ein Zweiglein ab. »O hätten wir nur Mut, zu walten Der Gaben, die das Glück beschert! Wer dürft uns hindern? wer uns halten? Wer kümmern uns den eignen Herd? Wir leiden nach dem alten Rechte, Daß, wer sich selber macht zum Knechte, Nicht ist der goldnen Freiheit wert. »Zieh hin, wie du berufen worden, In der Campagna Glut und Schweiß, Und ich will ziehn in meinen Norden, Zu siechen unter Schnee und Eis. Nicht würdig sind wir beßrer Tage, Denn wer nicht kämpfen mag, der trage, Dulde, wer nicht zu handeln weiß.« So ward an Weihers Rand gesprochen, In Zorne halb und halb in Pein; Wir hätten gern den Stab gebrochen Ob all den kleinen Tyrannein. Und als die Regenwolken stiegen, Da bahnten wir erst mit Vergnügen Uns in den Ärger recht hinein. Solang die Tropfen einzeln fielen, War's Naphthaöl in unsern Trutz; Auch eins von des Geschickes Spielen, Zum Schaden uns und keinem nutz! Doch als der Himmel Schloßen streute, Da machten wir's wie andre Leute Und suchten auch der Linde Schutz. Dort hockt ein Häuflein dicht beisammen, Sich schauernd unterm Blätterdach; Die Wolke zuckte Schwefelflammen Und jagte Regenstriemen nach. Wir hörten's auf den Blättern springen, Jedoch kein Tropfen konnte dringen In unser laubiges Gemach. Fürwahr, ein armes Häuflein war es, Was hier dem Wettersturm entrann: Ein hagrer Jud' gebleichten Haares, Mit seinem Hund ein blinder Mann, Ein Schuladjunkt im magern Fracke Und dann mit seinem Bettelsacke Der kleine hinkende Johann. Und alle sahn bei jedem Stoße Behaglich an den Stamm hinauf, Rückten die Bündelchen im Schoße Und drängten lächelnd sich zuhauf; Denn wie so hohler schlug der Regen, So breiter warf dem Sturm entgegen Der Baum die grünen Schirme auf. Wie kämpfte er mit allen Gliedern, Zu schützen, was sich ihm vertraut! Wie freudig rauscht' er, zu erwidern Den Glauben, der auf ihn gebaut! Ich fühlte seltsam mich befangen; Beschämt, mit hocherglühten Wangen, Hab' in die Krone ich geschaut Des Baumes, der, keines Menschen Eigen, Verloren in der Heide stand, Nicht Früchte trug in seinen Zweigen, Nicht Nahrung für des Herdes Brand; Der nur auf Gottes Wink entsprossen Dem fremden Haupte zum Genossen, Dem Wandrer in der Steppe Sand. Zur Freundin sah ich, sie herüber, Wir dachten Gleiches wohl vielleicht, Denn ihre Mienen waren trüber Und ihre lieben Augen feucht. Doch haben wir kein Wort gesprochen, Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen Und still die Hände uns gereicht.