Annette von Droste-Hülshoff - 1844 - Kapitel 4 lyrics

Published

0 80 0

Annette von Droste-Hülshoff - 1844 - Kapitel 4 lyrics

Der Prediger Langsam und schwer vom Turme stieg die Klage, Ein dumpf Gewimmer zwischen jedem Schlage, Wie Memnons Säule weint im Morgenflor. Am Glockenstuhle zitterte der Balke, Die Dohlen flatterten vom Nest, ein Falke Stieg pfeifend an der Fahne Schaft empor. Wem dröhnt die Glocke? – Einem, der entkettet, Des müden Leib ein Fackelzug gebettet In letzter Nacht bei seinem einz'gen Kind. Wer war der Mann? – Ein Christ im echten Gleise, Kein Wucherer, kein Ehrendieb, und weise Wie reiche Leute selten weise sind. Darum so mancher Greis mit Stock und Brille, So manches Regentuch und Handpostille, Sich mühsam schiebend durch der Menge Drang. Er war ein heitrer Wirt in seinem Schlosse, – Darum am Tor so manche Staatskarosse, So mancher Flor des Kirchenschiff entlang. Die Glocken schwiegen, alle Kniee sanken; Posaunenstoß! Die Wölbung schien zu wa*ken. O »Dies irae, dies illa!« – Glut Auf Sünderschwielen, Tau in Büßermalen! Mir war, als säh' ich des Gerichtes Schalen, Als hört' ich tröpfeln meines Heilands Blut. Das Amen war verhallt. Ein zitternd Schweigen Lag auf der Menge, nur des Odems Steigen Durchsäuselte den weiten Hallenbau. Nur an der Tumba schwarzer Flämmchen Knistern Schien leise mit dem Grabe noch zu flüstern, Der Weihrauchwirbel streute Aschengrau. »Geliebte!« scholl es von der Wölbung nieder, Die Wolke sank, und mählich stiegen Glieder, Am Kanzelbord ein junger Priester stand. Kein Schattenbild, dem alle Lust verronnen, Ein frischer saft'ger Stamm am Lebensbronnen, Ein Adler ruhend auf Jehovahs Hand! »Geliebte«, sprach er, »selig sind die Toten, So in dem Herrn entschliefen, treue Boten, Von ihrer Sendung rastend.« Dann entstieg Das Wort, gewaltig wie des Jordans Wallen, Mild wie die Luft in Horebs Zederhallen, Als er bezeugte des Gerechten Sieg. Die Stimme sank, des Stromes Wellen schwollen, Mir war, als hört' ich ferne Donner rollen: »Weh über euch, die weder warm noch kalt! O, wäret kalt ihr oder warm! die Werke Von eurer Hand sind tot, und eure Stärke Ist gleich dem Hornstoß, der am Fels verhallt.« Und tiefer griff er in der Zeiten Wunde, Die Heller ließ er klingen, und vom Grunde Hob er den seidnen Mottenfraß ans Licht. Erröten ließ er die bescheidne Schande In ihrem ehrbar schonenden Gewande, Und zog der Lust den Schleier vom Gesicht. Enthüllt hat er der Rechnung Moderschimmel, Mit der wir abgeschlossen für den Himmel, Die feige Güte, halbe Rechtlichkeit. Es waren Worte wie der Lava Gluten, Man hörte seines Herzens Adern bluten, Wie ein Prophet stand er der alten Zeit. Die Kerzen sind gelöscht, die Pforte dröhnte. Ich hörte schluchzen – am Gemäuer lehnte Ein Weib im abgetragenen Regentuch. Ich hörte säuseln – neben mir, im Chore, Ein Fräulein gähnte leise hinterm Flore, Ein Fahnenjunker blätterte im Buch. Und alle die bescheidnen Menschenkinder, Wie sich's geziemt für wohlerzogene Sünder, Sie nahmen ruhig, was der Text beschert. Und abends im Theater sprach der Knabe, Der achtzehnjähr'ge Fähndrich: »Heute habe Ich einen guten Redner doch gehört!«