[Verse 1] Was ist normal, was ist verrückt? Na ja, wenn man ihn sich anschaut, kann man sagen: „Ist wohl grade der Normalste, den's so gibt.“ Brav setzt er sich barhäuptig zu Tisch Zum Abendessen eins der zehn Standardgerichte, das wie schon seit Jahren schmeckt Er berichtet aus der Schule, von der Fünf in der Physikarbeit Geheimniskrämerei gab's nie im inneren Familienkreis Er kommt ganz gut mit allem klar, grenzt niemand' aus, 3,0er-Schnitt Mathe nervt ein Stück, ansonsten geht er gern in' Unterricht Deutsch ist seine Leidenschaft Wenn er Geschichten schreibt, dann brechen Teile seines Geistes schon zuweilen ab Er fühlt sich beschränkt in seiner Kunst Denn man würde ihm verübeln, was in ihm Jahre schon brütet, doch die Fantasie beflügelt Aber wenn der Abwasch fertig ist, das Kerzenlicht erlischt Dann gibt's da ja die and're Welt, in die er sich zu gerne klickt Den ganzen Tag wurd' er zugeschnürt von dieser Maske Nun ist endlich Zeit, da** er sie abnimmt [Verse 2] Dieses Facebook, dieses Twitter ist ja gar nicht so sein Ding Okay, na klar riskiert er hier und da 'nen Blick Aber in erster Linie treibt's ihn zu versteckten Foren, schreiben mit den Kameraden Hier befindet er sich unter gleichgesinnten Avataren Zwischen Mord, Gewalt und Sexgeschichten mancher Schwerenöter Hinterla**en User Signaturen, so wie Serienmörder So einer ist er nicht, kein Stück an Liebe, die ihm fehlt Er nässt nicht ein, legt keine Brände, hat nie ein Tier gequält Ist nur so 'n bisschen Anerkennung nach der lechzt Und wenn's mit sein' Ideen online klappt, ist doch perfekt Und prinzipiell gibt's ja auch eigentlich keine schlechten Ideen Aber Ideen bedingen Kreativität (wenn du verstehst) Im Chatroom himmelt man ihn an für seine Mordfantasien Schon recht genau beschrieben und dazu enorm detailliert Er wird mit Lob, Ovation und Komplimenten überschüttet
Ist schon recht, jeder narzisstische Komplex gehört gefüttert [Verse 3] Mit dem Strom verschwimmen langsam Grenzen, virtuell wirkt so real Real wirkt zwar nicht virtuell, doch mindestens leicht surreal Fast vierzig Stunden wöchentlich, PC geht an, PC geht aus Fast immer verbunden, fast immer Identitätentausch Das Fell seiner Maus steht zu Berge und er klickt Auf ihr rum, so als würd' sie sich wehren Und er sucht mit 'nem verstohlenen Grinsen zwischen neuen Beiträgen nach Lobeshymnen Fast könnten sie ihn ernähren Doch findet er was andres, etwas völlig krankes Da hat irgendjemand seine Kunst völlig verschandet 'Ne Fortsetzung so schlecht und so gekünstelt, literarisch purer Dünnschiss Die Figuren sind statt triebhaft nun vernünftig Schreiben ist viel mehr als nur Methodenlehre Fanfiktion, ein trivialer Schlag ins Gesicht seiner Autorenehre Und er wütet und er tobt unter Fluchen körperlich in der Wohnung Aber ein Teil von ihm will impulsiv ins Forum Splittert mit der Faust die Trennwand zwischen beiden Welten Bricht 'ne Scherbe aus dem Schirm und zerteilt sie in zwei Hälften Schließt die Augen und greift grob in den schwarzen tiefen Schlund Muss den Kunstverstümmler strafen für sein' Schund Bindet sich ein Kabel um den Rumpf, seilt sich rein, kurzer Ruck Freier Fall, Muskel zuckt und erschlafft dann auch zugleich Sein Körper wird vom tauben heißen Schmerz durchkämmt Und hängt genau da, wo 'ne dünne Scheibe Universen trennt Und dann blickt er hinab, was er war, was er tat Was ihn machte, was ihm so Gutes geschah Und da oben ist's viel zu real Viel zu stark davon abhängig, was und auch wie man es sagt Und der Unterschied zwischen den Welten wird klar Durch's Uncanny Valley, ist 'ne holprige Fahrt Aber wenn man sich komplett der Reise verschreibt Hat sie für dich ein neues Bewusstsein parat