Der Säntis Frühling Die Rebe blüht, ihr linder Hauch Durchzieht das tauige Revier, Und nah und ferne wiegt die Luft Vielfarb'ger Blumen bunte Zier. Wie's um mich gaukelt, wie es summt Von Vogel, Bien' und Schmetterling, Wie seine seidnen Wimpel regt Der Zweig, so jüngst voll Reifen hing. Doch sucht man gern den Sonnenschein Und nimmt die trocknen Plätzchen ein; Denn nachts schleicht an die Grenze doch Der landesflücht'ge Winter noch. O du mein ernst gewalt'ger Greis, Mein Säntis mit der Locke weiß! In Felsenblöcke eingemauert, Von Schneegestöber überschauert, In Eisenpanzer eingeschnürt: Hu, wie dich schaudert, wie dich friert! Sommer Du gute Linde, schüttle dich! Ein wenig Luft, ein schwacher West! Wo nicht, dann schließe dein Gezweig So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt. Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund; Allein die bunte Fliegenbrut Summt auf und nieder übern Rain Und läßt sich rösten in der Glut. Sogar der Bäume dunkles Laub Erscheint verdickt und atmet Staub. Ich liege hier wie ausgedorrt Und scheuche kaum die Mücken fort. O Säntis, Säntis! läg' ich doch Dort grad' an deinem Felsenjoch, Wo sich die kalten, weißen Decken So frisch und saftig drüben strecken, Viel tausend blanker Tropfen Spiel: Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!
Herbst Wenn ich an einem schönen Tag Der Mittagsstunde habe acht Und lehne unter meinem Baum So mitten in der Trauben Pracht; Wenn die Zeitlose übers Tal Den amethystnen Teppich webt, Auf dem der letzte Schmetterling So schillernd wie der frühste bebt: Dann denk' ich wenig drüber nach, Wie's nun verkümmert Tag für Tag, Und kann mit halbverschlossnem Blick Vom Lenze träumen und von Glück. Du mit dem frischgefallnen Schnee, Du tust mir in den Augen weh! Willst uns den Winter schon bereiten? Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten, Und bald, bald wälzt er sich herab Von dir, o Säntis! ödes Grab! Winter Aus Schneegestäub' und Nebelqualm Bricht endlich doch ein klarer Tag; Da fliegen alle Fenster auf, Ein jeder späht, was er vermag. Ob jene Blöcke Häuser sind? Ein Weiher jener ebne Raum? Fürwahr, in dieser Uniform Den Glockenturm erkennt man kaum. Und alles Leben liegt zerdrückt, Wie unterm Leichentuch erstickt. Doch schau! an Horizontes Rand Begegnet mir lebend'ges Land! Du starrer Wächter, laß ihn los, Den Föhn aus deiner Kerker Schoß! Wo schwärzlich jene Riffe spalten, Da muß er Quarantäne halten, Der Fremdling aus der Lombardei: O Säntis, gib den Tauwind frei!